Kiew. Unser ukrainischer Autor liebt Fußball und findet: Es ist Krieg, doch die Mannschaft ist die beste, die es je gab. Was das Land jetzt braucht.

Wer am Mittwoch in Kiew das letzte EM-Gruppenspiel der Ukraine gegen Belgien schauen möchte, hätte am besten schon vergangene Woche reserviert. Riesig ist der Wunsch, das Team von Trainer Serhij Rebrow mit anderen anzufeuern. Gleichzeitig ist die Anzahl der dafür infrage kommenden Bars kleiner, als sie sonst gewesen wäre: Viele Lokale haben inzwischen eigene Stromgeneratoren, aber eben nicht alle. Diese sind notwendig in der akuten Stromknappheit im russischen Angriffskrieg, um einen Hauch von Normalität zu erzeugen.

'Hauptstadt Inside von Jörg Quoos, Chefredakteur der FUNKE Zentralredaktion

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„Insgesamt schaue ich ganz nervös auf dieses Spiel“, erzählt Maksym, ein Dynamo-Kiew-Fan, der Ende 30 ist und sich einen der begehrten Kneipenplätze ergattert hat. Gegen Rumänien und die Slowakei „haben wir zwei ganz unterschiedliche Spiele gesehen – und Belgien mit seinen Top-Stars ist klar in der Favoritenrolle. Doch ich freue mich trotzdem auf dieses Gefühl, gemeinsam für unsere Mannschaft mitzufiebern.“

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Sehr oft haben die Ukrainer eine solche Chance nicht. Wegen der weiterhin geltenden nächtlichen Sperrstunde kommen die späten Abendspiele dafür nicht infrage – und die beiden bisherigen EM-Partien der Ukraine wurden eigentlich zu früh an Arbeitstagen angestoßen. Gegen Belgien geht es aber um 19 Uhr der Kiewer Zeit los – und so passt alles perfekt.

Es ist Krieg in der Ukraine, doch die Mannschaft ist die beste, die es je gab

Ob es auch sportlich passen wird, bleibt abzuwarten. Groß waren die Erwartungen an die Elf der Dynamo-Legende Rebrow, die aktuell gefühlt zur Hälfte aus den Stammspielern der starken Vereine der Top-Ligen besteht. Zumindest auf dem Papier ist es daher tatsächlich nicht falsch, von der besten ukrainischen Mannschaft der Geschichte zu sprechen.

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Das Auftaktspiel gegen Rumänien, bei dem die Ukraine ganz klar favorisiert war und trotzdem 0:3 unterlag, verlief jedoch katastrophal: Sogar dem Star-Torwart Andrij Lunin, der zuvor eine fulminante Saison bei Real Madrid gespielt hatte, unterliefen zwei grobe Fehler. Die Enttäuschung war im ganzen Land zu spüren – und das Internet war plötzlich voll mit Memes, die sich darum drehten, dass ukrainische Spieler lieber an die Front geschickt werden sollen.

Das alles zeigt, unter welchem mentalen Druck die Mannschaft steht, zumal EM-Spiele, wenn es irgendwie geht, auch von vielen ukrainischen Soldaten angeschaut werden. Deshalb vergeht kaum eine Pressekonferenz von Trainer Rebrow ohne den Dank an die ukrainische Armee, die es überhaupt erst möglich macht, Fußball zu spielen.

Oft gibt es keinen Strom, um die Spiele der Nationalmannschaft schauen zu können. Hier in Donezk lief das Spiel gegen Rumänien ohne Unterbrechung.
Oft gibt es keinen Strom, um die Spiele der Nationalmannschaft schauen zu können. Hier in Donezk lief das Spiel gegen Rumänien ohne Unterbrechung. © AFP via Getty Images | Roman Pilipey

Es wäre wenig überraschend gewesen, wenn die Ukrainer sich nach einem frühen Tor der Slowaken und insgesamt einem schweren Spielstart de facto von der EM verabschiedet hätten. Stattdessen hat die Mannschaft jedoch Charakter gezeigt – und nicht nur mit 2:1 gewonnen, sondern auch den attraktiven Fußball demonstriert, den man von dieser ukrainischen Elf erwartet.

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Doch die Ukraine hat sich mit dem Rumänien-Debakel in eine komplizierte Ausgangssituation geschossen: Alle Teams der Gruppe E haben haben nun jeweils drei Punkte, die Ukraine jedoch die schlechteste Tordifferenz. Während es rechnerisch ganz unterschiedliche Szenarien gibt, müsste die Ukraine gegen den Favoriten Belgien schon gewinnen, um nicht ums Weiterkommen bangen zu müssen.

Wächst das Team von Rebrow gegen Belgien noch einmal über sich hinaus, dann bekommen die Ukrainer am Mittwochabend ein Erfolgserlebnis, das das Land so dringend braucht. Die Menschen erleben gerade eine der schwierigsten Phasen in diesem Krieg gegen den Angreifer aus Russland. „Natürlich ist die Front viel wichtiger als der Fußball“, sagt Dynamo-Fan Maksym. Und doch wäre es für ihn so schön, dass die Reise bei ukrainischen Mannschaft bei dieser EM weitergeht.