Berlin. Schon vorm Auftaktspiel der Three Lions lassen britische Fans kein gutes Haar an der Gastgeberstadt – das Abreise-Chaos toppt alles.

Die Stimmung war ohnehin schon auf dem Tiefpunkt: Vor dem Hochrisiko-Spiel England gegen Serbien am Sonntagabend hatten einige englische Fans in den sozialen Medien heftig über die Gastgeberstadt Gelsenkirchen gelästert. Auf X, vormals Twittter, machte am vergangenen Wochenende der Beitrag eines Briten die Runde, der den Austragungsort als „absolutes Drecksloch“ bezeichnete. „Ich kann nicht glauben, dass Deutschland hier Spiele der Fußball-Europameisterschaft 2024 ausrichtet“.

Auch ein Reporter des englischen Sportsenders Sky, Kaveh Solhekol, gab vorab eine Reisewarnung für die Fans aus – nicht nur, weil ein Lokal in der Innenstadt bei der Bezahlung keine Kreditkarten annehmen wollte, sondern auch weil die Stadt nach seinem Befinden einem Vergleich mit der bayerischen Landeshauptstadt nicht standhielt. „Wir haben gerade vier, fünf Tage in München verbracht, das eine wunderbare Stadt ist“, sagte Solhekol. „Und Gelsenkirchen ist ein ziemlicher Kontrast.“ 

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Am Spieltag selbst strömten dann aber trotz allem Tausende Fans in die Stadt, um sich das erste EM-Spiel ihrer Mannschaft anzusehen. Und nicht überall blieb es friedlich. In der Gelsenkirchener Innenstadt kam es zuerst zu Ausschreitungen zwischen albanischen, serbischen und englichen Hooligans, dann sangen englische Fans „Ten German Bombers“ mitten auf der Flaniermeile und ließen einen aufblasbaren Weltkriegsbomber fliegen. Doch der holprige Start des Veranstaltungsortes in die Heim-EM – in Gelsenkirchen steht die Veltins-Arena mit 62.000 Plätzen – hatte damit noch nicht seinen Höhepunkt gefunden.

Fußball-Fans kommen stundenlang nicht aus Gelsenkirchen weg

Erst nach dem Spiel, das 1:0 für England ausging, ließen ausgerechnet der ÖPNV und die Deutsche Bahn das Fass für viele Fußball-Fans überlaufen. Auf X machten sie ihrem Ärger Luft. „Katastrophales Abreise-Konzept“, schrieb ein Journalist zu einem Video, das eine Menschenmenge vor dem Stadion zeigte, in deren Gedränge es kaum ein Weiterkommen gab. Allein auf eine Tram oder ein Shuttle in Richtung Bahnhof hätten viele Besucher bis zu eine Stunde warten müssen, beschwerte sich ein Nutzer. Und auch wer es dorthin geschafft hatte, für den ging es nur im Schneckentempo weiter.

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Noch drei Stunden nach dem Abpfiff standen sich Fans am Gelsenkirchener Hauptbahnhof die Beine in den Bauch. Eigentlich hatte die Bahn eigens Sonderzüge eingerichtet, doch die reichten offenbar bei Weitem nicht für die Masse an Menschen, die aus der Stadt hinauswollten. „Entweder die Züge kommen nicht, oder sie sind verspätet“, schrieb ein Nutzer auf X. Hintergrund war, dass von den 50.000 Besuchern im Stadion viele ein Hotel oder eine Unterkunft in den Nachbarstädten Köln, Essen oder Düsseldorf gebucht hatten. Doch bis sie an diesem Abend in ihr Bett fallen konnten, mussten sie teilweise einiges auf sich nehmen.

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Ein britischer Fan berichtete auf X: „Als wir die Warteschlangen gesehen haben, beschlossen wir, ins Zentrum zu laufen (das etwa vier Kilometer entfernt ist, Anm. d. Red.) Nach etwa einer Stunde Fußmarsch gab es Platz für uns in einem Shuttle vom Stadion zum Bahnhof, also sprangen wir dort hinein. Die Organisation war schrecklich“. Bis zu 2,5 Stunden brauchten Fans teilweise, nur um bis zum Bahnhof zu kommen. „Bin nächste Woche noch mal in Gelsenkirchen“, schrieb einer, der nach eigenen Angaben erst nach 3 Uhr wieder in Köln war. „Da wird sowas von das Auto genommen.“

Pro Bahn macht marode Infrastruktur für Probleme verantwortlich

Auch Sky-Reporter Kaveh Solhekol kam zum Bahn-Chaos inzwischen noch einmal zu Wort. Er zitierte auch die örtliche Polizei, die eingeräumt habe, dass es einen massiven Rückstau im ÖPNV gegeben habe. Zudem habe sie das „besonnene Verhalten“ der Fans gelobt, weshalb es nicht zu ernsthaften Problemen gekommen sei. Eine Sprecherin der Deutschen Bahn sagte dieser Redaktion, wenn nach dem Abpfiff alle nach Hause gingen, könne es schon mal voll werden am Bahnsteig. Die DB sei in engem Austausch mit den Aufgabenträgern, den kommunalen Verkehrsbetrieben und dem Land, um Abläufe zu analysieren und zu verbessern. 

Pro Bahn machte hingegen die marode Infratstruktur für die Probleme verantwortlich. „Die Bahn fährt, was halbwegs geht“, sagte der Ehrenpräsident des Fahrgastverbands Pro Bahn, Karl-Peter Naumann. „Doch die Kapazitäten sind wegen des maroden Schienennetzes begrenzt. Es fehlt einfach an Infrastruktur. Und das ist das Kernproblem.“ In Gelsenkirchen komme erschwerend die Bahnhofslage hinzu. „Der Bahnhof in Gelsenkirchen ist relativ eng und der Ausgang mündet direkt in die Fußgängerzone“, so Naumann. Bei Bundesligaspielen trenne man die Fans deshalb auf dem Weg zum Stadium auf Busse und Stadtbahn auf.