Berlin. Grünen-Europapolitiker Anton Hofreiter über die Gründe für den Absturz bei der Europawahl – und welche Konsequenzen es geben muss.

Die Grünen sind großer Wahlverlierer. Anton Hofreiter, Vorsitzender des Europaausschusses im Bundestag, sagt im Interview mit unserer Redaktion, was sich jetzt ändern muss. 

Die Grünen haben ihr Ergebnis von 2019 bei der Europawahl fast halbiert. Tut Ihnen die Ampel nicht gut?

Anton Hofreiter: Das Ergebnis ist für uns eine schwere Niederlage. Dass wir offensichtlich Stimmen an kleinere Parteien verloren haben, die ebenfalls auf ökologische Themen setzen, sollte ein Warnsignal sein. Dazu hat mit Sicherheit auch beigetragen, dass wir etwa beim Gebäudeenergiegesetz schwere Fehler gemacht haben und uns beim Klimaschutzgesetz nicht gegenüber der FDP und SPD mit härteren Maßnahmen durchsetzen konnten. Auch wenn die Auseinandersetzungen in der Koalition hart sind, wir Grüne müssen beim Klimaschutz liefern.

Auch SPD und FDP haben verloren. Wackelt die Koalition?

Es ist im Interesse des Landes, dass die Regierung ihre Arbeit macht. Darauf sollten wir unsere Energie richten, nicht auf sinnlose Diskussionen über Neuwahlen. Sicherlich gibt die Ampel mit ihren vielen Streitereien kein gutes Bild ab. Trotzdem hat die Regierung vieles für die Menschen in unserem Land erreicht. Wir haben den Mindestlohn deutlich erhöht, unser Land in Rekordzeit unabhängig von russischem Öl und Gas gemacht und die Erneuerbaren Energien massiv ausgebaut.

Was muss der Ampel in ihrem letzten Jahr gelingen?

Die Herausforderungen auf nationaler Ebene sind im Prinzip dieselben wie auf europäischer. Wir stehen in einem harten globalen Wettbewerb, in dem nicht mit fairen marktwirtschaftlichen Mitteln gekämpft wird. Um unseren eigenen Wohlstand zu erhalten, müssen wir die europäische Wirtschaft unabhängiger von Diktaturen wie China machen und sie gleichzeitig klimaneutral umbauen. Europa ist groß und stark genug, das zu schaffen. Gleichzeitig müssen wir wegen des russischen Angriffskriegs und der imperialen Ambitionen Putins massiv in unsere militärische Sicherheit investieren. Das alles kann nicht warten bis zur nächsten Bundestagswahl. Das muss jetzt noch angepackt werden.

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Ist es ratsam, eine grüne Kanzlerkandidatin oder einen Kanzlerkandidaten aufzustellen, wenn nicht mal 15 Prozent drin sind?

Klar ist, dass wir eine Kanzlerkandidatin oder einen Kanzlerkandidaten nur aufstellen, wenn eine realistische Chance auf einen Wahlsieg besteht. Nach dem heutigen Ergebnis muss man sich genau überlegen, ob das der Fall ist. Es ist auf alle Fälle viel Arbeit nötig. Das Ziel muss sein, bei der nächsten Bundestagswahl ein besseres Ergebnis als 2021 zu erzielen.

Beim letzten Mal trat Annalena Baerbock an. Wäre nun Robert Habeck an der Reihe?

Das wird in der Partei entschieden, wenn die Zeit reif ist.

Die AfD, die in jedem Fall einen Kanzlerkandidaten aufstellen will, hat bei der Europawahl deutlich zugelegt – trotz aller Skandale. Woran liegt das?

Die Krisen der vergangenen Jahre haben viele Menschen verunsichert. Es ist ein Auftrag an die Regierungsparteien, unser Land zukunftsfest zu machen, neue Jobs zu schaffen und den Frieden zu sichern. Bei den Zuwächsen der AfD müssen wir uns aber auch klarmachen: Die AfD stützt sich mittlerweile auf eine rechtsextreme Kernwählerschaft. Diese Leute machen bei der AfD ihr Kreuz für einen Spitzenkandidaten, der die SS verherrlicht. Das sind keine besorgten Bürger, das sind Rechtsextreme.

Wenn Sie auf ganz Europa blicken: Ist das ein dunkler Tag?

Es kommt jetzt darauf an, wie sich die Mehrheiten im Europaparlament bilden. Die demokratischen Parteien sollten zusammenstehen und in Europas Zukunft investieren. Die EVP darf nicht gemeinsame Sache mit den Rechtspopulisten machen. 

Was bedeutet das Ergebnis für Ursula von der Leyen? Stimmen die Grünen für eine zweite Amtszeit als Kommissionspräsidentin?

Von der Leyen hat es selbst in der Hand. Wenn sie mit Rechtspopulisten und Postfaschisten paktiert und die grüne Transformation zurückdrehen will, können wir als Grüne nicht zustimmen. Wie ich unseren Bundeskanzler verstanden habe, gilt das auch für die Sozialdemokraten.