Berlin. Stefanie Stahl sagt, welche Hindernisse einer glücklichen Beziehung im Weg stehen und wie sich diese Hürden überwinden lassen.

Nach ihrem Bestseller „Wer wird sind“ hat Psychotherapeutin und Autorin Stefanie Stahl nun ein dazu passendes Arbeitsbuch veröffentlicht, das auf dem Weg zur seelischen Stabilität helfen soll. Im Interview gibt die 60-Jährige Tipps, wie Paare den Weg zu einer glücklichen Beziehung finden und welche Gefühle hinter einer Bindungsangst stecken und was sie selbst heute anders machen würde.

Mit Ihrem Arbeitsbuch wollen Sie Ihren Lesern laut Untertitel helfen, „sich selbst besser zu verstehen“. Was ist, wenn die Leute Ihre Ratschläge doch nicht umsetzen?

Stefanie Stahl: Das kann ich nicht beeinflussen. Die menschliche Psyche hat eine Grundstruktur, die überall auf der Erde die gleiche ist. Wenn ich diese kenne, kann ich mich selbst viel besser verstehen und an den Schrauben drehen, wo es nötig ist. Das Arbeitsbuch zeigt, wie das möglich ist, und es geht dabei mit kleinen Schritten und einfachen Aufgaben vor. Das heißt, es ist niedrigschwellig.

Laut Stefanie Stahl ist Selbstreflexion ein wichtiges Element für eine glückliche Beziehung.
Laut Stefanie Stahl ist Selbstreflexion ein wichtiges Element für eine glückliche Beziehung. © picture alliance/dpa | Harald Tittel

Was ist effektiv der Schlüssel, damit wir Menschen miteinander klarkommen?

Stahl: Selbstreflexion. So kann ich verstehen, ob ich aufgrund meiner Kindheit und gewisser Prägungen mit einem kleinen Selbstwertschaden durch die Welt laufe. Wenn ich mich meinem Gegenüber unterlegen fühle, laufe ich Gefahr, eine gewisse Überlegenheit in ihn hineinzuprojizieren. Das bedeutet, dass ich ihn als potenzielle Bedrohung wahrnehme. Infolgedessen ziehe ich mich zurück oder werde aggressiv. Durch diese Projektion belaste ich nicht nur mich, sondern auch meine Beziehungen. Das gilt für zwei Partner genauso wie für zwei Staaten. Alles Unglück basiert darauf, dass die Menschen nicht reflektiert genug sind.

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Es gibt den bekannten Satz: „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst“...

Stahl: Selbstliebe ist ein Riesenwort. Es reicht, wenn man mit sich in Freundschaft lebt. Dann ist man weniger mit sich selbst beschäftigt, fühlt sich nicht vom Anderen per se bedroht und kann deshalb viel wohlwollender auf Augenhöhe mit ihm umgehen.

Stefanie Stahl: „Kann dem anderen das Leben zur Hölle machen“

Kann eine Partnerschaft funktionieren, wenn einer der Beteiligten keine Selbstreflexion betreibt?

Stahl: Es kommt darauf an, wie sehr der Unreflektierte die Beziehung belastet. Wenn jemand beispielsweise unter starken Verlustängsten leidet, dann hat er aufgrund dessen ein extrem hohes Kontrollbedürfnis und kann dem anderen das Leben zur Hölle machen. Diese Person muss die Verantwortung für sich übernehmen, zur Psychotherapie gehen oder ein Buch von Frau Stahl lesen (lacht). Doch sie kann nicht erwarten, dass der andere sich so verhält, dass dieses Problem nicht auftaucht.

Muss man an einer glücklichen Beziehung arbeiten oder kommt es nicht einfach darauf an, dass sich zwei Leute finden, die zueinander passen?

Stahl: Beides ist möglich. Mein Mann und ich passen von unseren Interessen und Charakteren gut zusammen, aber wir sind beide auch so reflektiert, dass wir Missverständnisse schnell klären. Das Problem ist eben, wenn ich meinen Partner aufgrund meiner frühen Prägungen und Erfahrungen durch eine verzerrte Brille wahrnehme und deswegen vieles, was er sagt und macht, falsch interpretiere. Wenn zwei Menschen gut psychisch aufgestellt sind, kriegen sie sich nicht so oft in die Wolle. Ich kenne andererseits nicht wenige, bei denen es immer wieder Krisen gab, aber die sich immer wieder zusammengerauft haben und auf ihre Weise miteinander glücklich sind.

Stahl über Bindungsangst: „Alleine wären wir nicht überlebensfähig“

Sie schreiben, dass Bindung ein psychisches Grundbedürfnis ist. Andererseits haben Sie auch einiges zum Thema Bindungsangst veröffentlicht. Wie passen beide Aspekte zusammen?

Stahl: Uns ist genetisch ein Bindungsbedürfnis in die Wiege gelegt worden, weil wir alleine nicht überlebensfähig wären. Jeder Mensch will dazu gehören. Aber nicht wenige Kinder lernen, dass sie gewisse Erwartungen der Eltern erfüllen müssen, wenn sie geliebt werden wollen. Dieses Programm prägt sich tief ein. Wenn sie dann eine Beziehung eingehen, denken sie ebenfalls, dass sie Erwartungen gerecht werden müssen.

Aber irgendwann kann es passieren, dass sie glauben, dass sie sich selbst verlieren und als Person nicht mehr stattfinden. Da kommen Verdruss und Engegefühle auf. Der Partner wird als Freiheitsdieb gesehen, der einem zu viele Vorschriften macht. Man fokussiert sich auf seine unangenehmen Eigenschaften und sieht dann nur noch die Möglichkeit, sich zurückzuziehen. Das Problem ist, dass sie nicht gelernt haben, sich angemessen selbst zu behaupten. Die Menschen, die an einer Bindungsangst leiden, haben also im Innersten das Gefühl: Entweder bin ich in einer Beziehung oder ich bin frei. Menschen, die dieses Thema nicht haben, können sich auch innerhalb einer Beziehung frei fühlen.

Neben ihrer Arbeit als Therapeutin schreibt Psychologin Stefanie Stahl Bücher, gibt Seminare und betreibt gleich zwei Podcasts: „Stahl aber herzlich“ und, gemeinsam mit Lukas Klaschinski, „So bin ich eben“.
Neben ihrer Arbeit als Therapeutin schreibt Psychologin Stefanie Stahl Bücher, gibt Seminare und betreibt gleich zwei Podcasts: „Stahl aber herzlich“ und, gemeinsam mit Lukas Klaschinski, „So bin ich eben“. © IMAGO/Zoonar | IMAGO stock

Die Zahl der Singlehaushalte ist in Deutschland im letzten Jahr wieder gestiegen. Heißt das, dass die Bindungsangst zunimmt?

Stahl: Nein, denn die Bedingungen für Kinder werden eher besser als schlechter. Junge Eltern sind viel zugewandter. Aber gleichzeitig ist das gesellschaftliche Korsett lockerer. Es ist völlig okay, als Single zu leben – anders als früher. Ich stelle aber sogar fest, dass die jungen Leute sich schon früh binden und oft ihren ersten Partner heiraten. Zu meiner Zeit hätte es das nicht gegeben.

„Das muss man erleben, sonst hat man sein Leben nicht gelebt“

Zu Ihrer Zeit gab es auch keine digitalen Kanäle. Machen diese Beziehungen einfacher oder schwieriger?

Stahl: Ich habe keine fertige Meinung dazu. Online kann man Menschen kennenlernen, die man sonst nie getroffen hätte. Die größere Auswahl erhöht die Wahrscheinlichkeit, den richtigen Partner zu finden. Und weil der Kontakt erstmal digital erfolgt, bleibt der Verstand eingeschaltet. Wer sich im realen Leben verliebt, vielleicht auch noch Hals über Kopf, setzt sofort die rosarote Brille auf und wenn der Hormonspiegel wieder heruntergeht, sieht man erst, wen man sich ans Bein genagelt hat. Laut Studien halten online angebahnte Beziehungen aus diesen Gründen besser. Auf der anderen Seite bekomme ich mit, dass junge Menschen nicht mehr richtig flirten können, weil sie die Kompetenz dafür verloren haben.

Sollte man sich am besten nicht Hals über Kopf verlieben?

Stahl: Das muss man erleben, sonst hat man sein Leben nicht gelebt. Das ist eines der tollsten Gefühle überhaupt, aber man läuft dabei eben auch Gefahr, richtig auf die Schnauze zu fallen.

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Inwieweit haben Sie eigentlich Ihre eigenen Erkenntnisse in Ihrem Beziehungsleben umgesetzt?

Stahl: Ich musste alles erstmal selbst durchleiden. Früher habe ich mir bindungsängstliche Typen ausgesucht, und so habe ich Bücher zum Thema Bindungsangst geschrieben. Heute würde ich ganz anders daten. Aber Gottseidank habe ich jetzt einen Mann, der dieses Thema nicht hat, und mit dem bin ich sehr glücklich.