Berlin. In Deutschland werden weiter viel zu wenige Wohnungen gebaut. Ein Experte warnt vor einem Kollaps – und appelliert an die Politik.

Wegen zuletzt deutlich gestiegener Zuwanderungszahlen müssten in Deutschland schon jetzt deutlich mehr Wohnungen als ursprünglich berechnet gebaut werden. Das geht aus einer neuen Modellrechnung des Institutes der deutschen Wirtschaft (IW Köln) hervor, die dieser Redaktion vorab vorliegt.

Demnach habe sich der Wohnungsbedarf im Zeitraum 2021 bis 2025 aufgrund einer neuen regionalen Bevölkerungsprognose auf jährlich 372.000 neu benötigte Wohnungen erhöht. Bislang war man von etwa 308.000 neuen Wohnungen pro Jahr ausgegangen. Das Ziel der Bundesregierung, jedes Jahr gut 400.000 Wohnungen neu errichten zu lassen, war bislang verfehlt worden.

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Im vergangenen Jahr wurden lediglich 294.000 Wohnungen neu gebaut. Das Münchner Ifo-Institut geht in einer neuen Prognose davon aus, dass auch in diesem Jahr lediglich 225.000 Wohnungen fertiggestellt werden könnten. Grund dafür sind neben gesunkenen Baugenehmigungen, vor allem das weiter hohe Zinsniveau, Bürokratie und strenge Bauvorschriften, aber auch Unsicherheiten in Bezug auf Förderprogramme der Bundesregierung.

Wohnungsnot in Deutschland: Warum die Ziele bislang verpasst wurden

Ursache für die angepasste Berechnung zum benötigen Wohnungsneubau ist dem IW zufolge eine deutlich höhere Zuwanderung, die zuvor aufgrund der Corona-Pandemie „wesentlich moderater eingeschätzt worden war“, heißt es in dem Bericht der Wirtschaftsforscher. Seit Februar 2022 seien durch den Ukraine-Krieg jedoch noch 1,3 Millionen Flüchtlinge aus der Ukraine hinzu gekommen. „In Summe wurde die Zuwanderung damit um 1,5 Millionen Personen unterschätzt“, so die Wissenschaftler.

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    „Das Wohnungsbauproblem ist immens. Wir müssen die Bautätigkeit jetzt deutlich steigern“, sagte der einer der Autoren der Studie, der Immobilienmarktexperte Michael Voigtländer, dieser Redaktion. „Tatsächlich jedoch erleben wir einen Einbruch. Das heißt, der Druck auf den Mietwohnungsmarkt wird deutlich steigen.“

    Dramatisch ist die Lage jetzt schon in deutschen Großstädten. Im Verhältnis zum jährlichen Bedarf lag die aktuelle Bautätigkeit zwischen 2021 und 2023 in Deutschland nur bei 79 Prozent. „Besonders hoch ist die Unterdeckung in den größten sieben Städten des Landes. Dort liegt die Quote aus aktueller und benötigter Bautätigkeit bei 59 Prozent“, so die Studienmacher. Am niedrigsten ist die Bautätigkeit in Köln und in Stuttgart. Im Zeitraum von 2020 bis 2023 sind nur 37 Prozent beziehungsweise 43 Prozent der dort benötigten Wohnungen neu errichtet worden.

    Studie: Lage auf Wohnungsmarkt wird nicht besser – im Gegenteil

    Zunächst wird die Lage auch nicht besser. Für dieses und auch für das kommende Jahr rechnen Experten eher mit einer weiteren Verschlechterung der Neubauzahlen. Der Wohnungsmangel werde also flächendeckend zunehmen, so die Analyse. Um weitere Verwerfungen im Markt zu verhindern, seien sowohl kurzfristige Impulse, als auch strukturelle Reform nötig.

    Deutschland braucht mehr Wohnungen: Ein Experte empfiehlt weitreichende Reformen.
    Deutschland braucht mehr Wohnungen: Ein Experte empfiehlt weitreichende Reformen. © picture alliance / Jochen Tack | Jochen Tack

    IW-Forscher Voigtländer empfiehlt Kommunen unter anderem mehr Bauland auszuweisen, auch weniger Vorgaben zum Beispiel mit Blick auf bei einem Neubau zu errichtende Stellplätze könnten helfen, das Bauen zu vereinfachen. Länder sollten über Entlastungen bei der Grunderwerbssteuer nachdenken, so der Experte. Gemeinsam mit dem Bund sollten die Länder zudem „deregulieren und vereinfachen,“ sagte Voigtländer. „In jedem Koalitionsvertrag steht, man möchte einfacher und schneller bauen. Aber so richtig viel passiert, ist bislang nicht“, fasste er zusammen.

    Wohnungsnot: Sinkende Zinsen tragen nicht allein zur Linderung bei

    Die Europäische Zentralbank (EZB) hatte in der vergangenen Woche angekündigt, die Leitzinsen leicht zu senken. Weitere Zinssenkungsschritte könnten in diesem Jahr noch folgen. Auch die Bauzinsen könnten somit wieder günstiger werden. Fachmann Voigtländer verspricht sich davon jedoch keinen allzu großen Effekt. „Die leichte Belebung durch sinkende Zinsen wird nicht reichen, um den Wohnungsbau ausreichend zu stimulieren. Zusätzlich ist ein wirklicher politischer Rückenwind nötig, der zum Beispiel geringere Baukosten ermöglicht“, sagte er. Passiere nichts, werde man weiter nur „im Schneckentempo“ vorankommen.

    Die Folgen der Wohnungskrise bemerke man bereits heute. Mieten bei Neuvermietungen steigen besonders in Ballungsgebieten deutlich stärker an als früher. „Wir sehen auch, dass viele Haushalte gar nicht mehr umziehen können, weil sie keine neue Wohnung finden. Der gleiche Effekt trifft junge Menschen, die viel länger als früher zu Hause leben müssen“, erklärte der IW-Forscher weiter. Zunehmend sei der Wohnungsmangel auch ein Problem für Unternehmen. Berichte von Arbeitskräften, die einen neuen Job nicht antreten, weil sie keine Wohnung finden, würden sich häufen, so Voigtländer.