Berlin. Deutschland feiert den Fußball. Die Ampel hofft, von der guten Laune zu profitieren – und zieht Vergleiche mit der eigenen Performance.

Kurz vor Anpfiff am vergangenen Samstag, die deutsche Fußball-Nationalmannschaft tritt bei dieser EM zum ersten Spiel in der K.-o.-Runde an. „Die treuen Fans sind wieder vor Ort“, twittert Karl Lauterbach. „Wir werden unsere Kehlen heute nicht schonen.“ Dazu veröffentlicht der Gesundheitsminister aus dem Dortmunder Stadion ein Foto, das ihn mit dem Kanzler und dessen Frau Britta Ernst im pinken Deutschlandtrikot zeigt.

Innenministerin Nancy Faeser und Außenministerin Annalena Baerbock verfolgen das Spiel ebenfalls im Stadion. Es folgt eine dramatische Partie, aus der die deutsche Mannschaft als Sieger gegen Dänemark hervorgeht. „Mit einer tollen Leistung und Durchhaltevermögen habt ihr euch ins Viertelfinale gekämpft!“, jubelt Olaf Scholz später in den sozialen Medien. Darauf könne das Team von Bundestrainer Julian Nagelsmann stolz sein. „Ich bin es – stolz auf euch!“

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Nanu, Scholz ist Fan? Als Fußball-Anhänger galt der Kanzler bisher nicht. Jemand, der mit Scholz einmal ein Spiel im Stadion verfolgt hat, berichtete von einem emotional weitgehend unberührten Zuschauer. Auch an den Tippspielen im Kanzleramt nimmt Scholz nicht teil. „Ich bin, was Fußball betrifft, mehr Fan und nicht Experte“, sagt Scholz zurückhaltend.

Tippspiele im Kanzleramt – Scholz nicht dabei: „Bin kein Experte“

Doch abgesehen vom Auftaktspiel, als Scholz beim G7-Gipfel in Italien war, hat der Kanzler alle deutschen EM-Spiele im Stadion gesehen. Und auch beim Viertelfinale am heutigen Freitag gegen Spanien in Stuttgart will Scholz vor Ort sein. Eine neu entdeckte Leidenschaft? Im Stadion „fiebere ich vollständig mit und bin ganz begeistert, wie toll unser Team reingekommen ist in die Spiele“, berichtet Scholz.

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Zum ausgewiesenen Taktikfuchs ist der Kanzler durch den Besuch der Spiele dem Vernehmen nach aber nicht geworden. Die starke Präsenz des Kanzlers und anderer Ampel-Politikerinnen und Politiker bei den deutschen EM-Spielen dürfte aber auch noch einen anderen Hintergrund haben: Wenn der Fußball strahlt, sind Politiker oft nicht fern – allein um etwas vom Glanz der Sportstars abzubekommen.

'Hauptstadt Inside von Jörg Quoos, Chefredakteur der FUNKE Zentralredaktion

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Als Deutschland 1990 den WM-Titel in Italien holte, trank Bundeskanzler Helmut Kohl mit der Siegermannschaft in der Kabine ein Bier. Von Angela Merkel gibt es viele Jubelbilder aus Fußball-Arenen: die Kanzlerin mit weit aufgerissenem Mund, die Arme in die Höhe gereckt. Und auch sie zog es in die Stadionkatakomben, als die Nationalelf in Brasilien 2014 den Titel gewann. Merkel verteilte Wangenküsschen, machte ein Selfie mit Lukas Podolski und die Spieler skandierten „Angie, Angie“.

Fußball-Stimmung im Land: Die Ampel hofft auf einen EM-Effekt

Dazwischen lag das Sommermärchen von 2006, als das ganze Land die Heim-WM feierte und die Welt erstaunt auf die gut gelaunten Deutschen guckte. Von einer solchen Euphorie war nicht nur der deutsche Fußball zuletzt weit entfernt. Deutschland befindet sich im Stimmungstief, der Wirtschaft geht es mäßig. Die Zustimmungswerte für die Ampel-Regierung und den Bundeskanzler sind im Keller.

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    Aber jetzt sind die Fanmeilen wieder voll und die deutsche Elf ist gut im Turnier. Zwar erwarten Ökonomen von der EM in Deutschland keinen nennenswerten Konjunktureffekt, der Wunsch der Politik, von der positiven Laune rund um die Nationalelf zu profitieren, ist jedoch deutlich zu erkennen. „Wir müssten beim Sport mal wieder etwas gewinnen“, stöhnte bereits vor einigen Monaten ein Politiker im Gespräch über die Stimmung in der Bevölkerung.

    Nun hofft die Ampel offenbar auf einen EM-Effekt, der sich vom Platz über die Ränge der Stadien auf den Rest des Landes überträgt. „Ich habe den Eindruck, die Gesamtstimmungslage in Deutschland ist während der Euro besser geworden“, zeigte sich Innenministerin Faeser überzeugt. Scholz fügte nach dem Dänemark-Spiel seinem Lob für die Nagelsmann-Elf hinzu: „Und ich bin dankbar für alle Fans, die diese Stimmung aus den Stadien weitertragen! Das ist großartig.“

    Deutschland wie Nationalelf? Scholz zieht in Rede klare Parallelen

    In seiner letzten Regierungserklärung zog Scholz sogar eine Parallele zu der wieder erstarkten Nationalmannschaft. Er zählte auf, welche neuen Industrien sich entgegen dem Geunke vom Niedergang des Wirtschaftsstandorts hierzulande ansiedelten. „Manchmal erinnert mich das an das Geraune vor der EM. Noch Anfang des Jahres haben viele in Deutschland große Skepsis gehabt über die Zukunftsperspektiven von Fußball-Deutschland“, fachsimpelte Scholz.

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    Es klang fast so, als wäre er in diesem Moment nicht Bundeskanzler, sondern Bundestrainer. „Dann zwei wichtige Siege im Frühjahr, Spirit im Team, und im Land hat sich ganz schön viel verändert.“ Deshalb sage er, „was wir alle gemeinsam brauchen, sind Zuversicht und Selbstvertrauen in unsere Stärke und unsere Möglichkeiten“.

    Wie weit die Fußball-Euphorie allerdings trägt, ist unsicher. Die deutsche Mannschaft trifft an diesem Freitag um 18 Uhr ausgerechnet auf Spanien, die bisher beste Mannschaft des Turniers. Der Traum vom EM-Sieg könnte für die Truppe um Jamal Musiala und Toni Kroos schon wieder vorbei sein. Für viele Menschen in Deutschland geriete die Europameisterschaft dann inmitten eines verregneten Sommers schnell wieder zur Nebensache.

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    Scholz zumindest will mit seiner Präsenz im Stadion alles tun, um die deutsche Mannschaft zu unterstützen. Nach einer schlaflosen Nacht konnte sich Scholz am Freitagmorgen über einen Durchbruch bei den zähen Haushaltsverhandlungen freuen. Das kam gerade rechtzeitig, denn um 16 Uhr muss Scholz in der Hauptstadt aufbrechen, wenn er pünktlich zum Anpfiff in Stuttgart auf der Tribüne sitzen will. Sein Tipp: „1:0 für Deutschland.“