Jena. Das Landgericht Gera hat am Freitag in einem Fall einer Ex-Kollegin entschieden: So begründet die Kammer ihr Urteil.

Die elfte Strafkammer des Landgerichtes Gera sieht eine ehemalige Richterin der Rechtsbeugung schuldig und verurteilt sie zur Mindestfreiheitsstrafe von einem Jahr, die zur Bewährung ausgesetzt wird. Zwei Monate gelten wegen der langen Verfahrensdauer als vollstreckt.

Die Gerichtsbesetzung in dem Fall hatte sich mehrfach geändert, weil sich Richterinnen oder Richter als befangen erklärt haben. Bei zwei von ihnen wurde diese Befangenheit nicht gesehen, deshalb gehörten sie der Kammer an.

Pfarrer erreicht im Bereitschaftsdienst die eigene Tochter

Die Angeklagte, heute 37 Jahre alt und im Altenburger Land lebend, war im April 2020 als Proberichterin in den Bereitschaftsdienst eingeteilt. Dieser übernimmt dringende Fälle außerhalb der Geschäftszeiten der zuständigen Amtsgerichte. Im ersten Corona-Lockdown trägt sich folgendes zu: Ein Pfarrer begehrt Zutritt zu einem Seniorenheim in Jena, um dort ein Gemeindemitglied zu besuchen, das nur noch kurze Zeit zu leben hat. Weil die Pflegeeinrichtung dies mit Verweis auf die Corona-Verordnung ablehnt, will er einen Antrag auf eine einstweilige Verfügung an das Amtsgericht Jena stellen.

Er wählt die Nummer des Bereitschaftsdienstes und ist mit seiner Tochter vom Amtsgericht Altenburg verbunden. Sie übernimmt den Fall, obwohl die Zivilprozessordnung dies im Falle von naher Verwandtschaft verbietet. Diesen Paragrafen will sie bei ihrer Prüfung auf eine Befangenheit übersehen haben, sagt die Juristin.

Verteidiger sieht keinen Vorsatz und verlangt einen Freispruch

Ihr Verteidiger Jörg Geibert führt die Schwangerschaft der Frau an, den Zeitdruck im Bereitschaftsdienst und die emotionale Ausnahmesituation in der Corona-Pandemie. „Es mangelte am Vorsatz zur Beugung des Rechts“, sagt der ehemalige Thüringer Innenminister. Zumal die Entscheidung sachgerecht gewesen sei, Seelsorge bei einer sterbenden Person trotz der Corona-Auflagen zuzulassen. Er beantragt deshalb einen Freispruch.

Verteidiger Jörg Geibert sitzt neben seiner Mandantin.
Verteidiger Jörg Geibert sitzt neben seiner Mandantin. © FMG | Tino Zippel

Staatsanwalt Philipp Giesecke hatte indes eine Freiheitsstrafe von einem Jahr und zwei Monaten wegen Rechtsbeugung beantragt. Als Bewährungsauflage verlangte er die Zahlung von 3000 Euro an eine gemeinnützige Einrichtung.

Staatsanwalt Philipp Giesecke vertritt die Staatsanwaltschaft Erfurt im Prozess.
Staatsanwalt Philipp Giesecke vertritt die Staatsanwaltschaft Erfurt im Prozess. © FMG | Tino Zippel

Gericht: Vorbefassung gegeben, aber Absprache mit Vater nicht nachweisbar

Zwei Richterinnen, ein Richter, eine Schöffin und ein Schöffe kamen zum Ergebnis, dass die Angeklagte mit Absicht die Entscheidung an sich gezogen habe, obwohl die Chance bestand, den Fall im Bereitschaftsdienst an die Vertreterin weiterzureichen. Die Vorsitzende Marie Richter verliest die Urteilsbegründung nach der anderthalbstündigen Beratung.

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Sie verweist darauf, dass die Angeklagte vorab mindestens einmal mit ihrem Vater über das Problem der nicht erlaubten Besuche im Heim gesprochen hatte. Auch entsprechende Internetrecherchen am Tag vor dem Anruf ihres Vaters wirkten als belastendes Indiz. Nicht sicher feststellbar sei gewesen, ob es tatsächlich eine Vorabsprache mit dem Vater gab.

Mehrere Fehler führen zur Einschätzung, dass eine Rechtsbeugung vorliegt

„Der Angeklagten ging es um darum, die Entscheidung zu treffen und ihrem Vater einen Gefallen zu tun“, sagt die Vorsitzende. Sie habe weder geprüft, ob der Verwaltungsrechtsweg korrekt sei, noch eine mögliche Anhörung des betroffenen Heimes in Betracht gezogen. Fraglich sei, ob die Eilbedürftigkeit bestanden habe. Die Richterin hatte den Beschluss noch am Abend ausgestellt, der Besuch sei aber erst am Nachmittag des nächsten Tages erfolgt. Auch habe die Richterin keine vorläufige, sondern eine endgültige Regelung getroffen, so die Vorsitzende.

Diese Solidaritätsbekundung stand im Mai vor dem Eingang zum Gebäude im Justizzentrum.
Diese Solidaritätsbekundung stand im Mai vor dem Eingang zum Gebäude im Justizzentrum. © FMG | Tino Zippel

Als „einmaligen Vorgang“ bezeichnet die Richterin, dass die Angeklagte ihren Vater zu sich nach Hause bestellt habe, um dort Unterlagen anzunehmen und ihm den Beschluss auszustellen. „Sie hat sich bewusst über eigene rechtliche Bedenken hinweggesetzt.“ Zur Zeit des Beschlusses habe sie aufgrund ihrer Schwangerschaft auch nicht widerrechtlich gearbeitet, weil nur Dienstzeiten nach 20 Uhr ausgeschlossen sind.

Verteidiger kündigt Revision vorm Bundesgerichtshof an

Aufgrund der positiven Sozialprognose und guten sozialen Einbindung setzt die Kammer die Haftstrafe zur Bewährung aus und verhängt außer der Pflicht, Wohnsitzwechsel zu melden, keine Auflagen. Das Urteil ist nicht rechtskräftig. Verteidiger Geibert kündigte die Revision zum Bundesgerichtshof an.

Solange das Urteil nicht rechtskräftig ist, darf die Juristin weiter als Rechtsanwältin arbeiten. Danach muss die Rechtsanwaltskammer über die Zulassung entscheiden.

Alle Gerichtsberichte zu dem Fall im Überblick