Paris. „Morgen könnte unser Minister zur extremen Rechten gehören“: In Frankreichs Öffentlichem Dienst kursieren schlimme Befürchtungen.

Noch sitzen die Rechtspopulisten vom Rassemblement National in Paris nicht an der Macht. Noch, denn so nah wie jetzt war der RN, war Frankreichs extrem Rechte, dem Élysée-Palast noch nie. Auf gut 34 Prozent der Stimmen wird es der RN bringen, sagen die Hochrechnungen, Marcons Regierungslager schafft gerade mal 21.

Schon die bloße Möglichkeit treibt zahllose Beamten in Frankreich um. Vor allem jene leitenden Angestellten, die ihre Anweisungen direkt aus ihrem vorgelagerten Ministerium erhalten, also von der Regierung. Diese 500 Spitzenbeamten, Abteilungsleiter, Präfekte und Botschafter warten auf eine Le Pen-Regierung „wie auf einen ‚Meteoriteneinschlag‘“, liest man in den sozialen Medien.

Die meisten dieser „hauts fonctionnaires“ schweigen, aber alle überlegen, wie sie sich verhalten sollen. Die Zusammenarbeit verweigern und den Hut nehmen? Oder erst recht im Amt bleiben und im Kleinen oder Großen Widerstand leisten? 

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„Abtreten oder bleiben, das ist eine sehr persönliche Frage“, sagte Catherine Sueur, die Generalinspektorin für Finanzen, die sich als eine von wenigen öffentlich äußert. „Die Antwort fällt nicht leicht. Schließlich muss ja jemand die Steuern eintreiben und den Haushalt erstellen.“

Beamte in Frankreich: „Wir werden nicht gegen die Werte der Republik verstoßen“

In der Éducation Nationale, dem französischen Bildungsapparat, haben leitende Angestellte eine Petition lanciert, in der sie bekanntmachen, dass sie der neuen Regierung nicht zu Diensten sein werden. Sie betonen, dass sie schon unter progressiven, konservativen und zentrumspolitischen Regierungen gearbeitet hätten. „Doch morgen wird unser Minister vielleicht zur extremen Rechten gehören und verlangen, dass wir Kaderbeamten seine Direktiven anwenden, seine Politik umsetzen und eine Bildung organisieren, die im Widerspruch zu den republikanischen Werten steht.“

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    Was diese Werte sind, wissen alle Franzosen: Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit – das Gegenteil des „nationalen Vorzugs“, den das Rassemblement National (RN) von Marine Le Pen zulasten von Zugewanderten und Ausländern in vielen Sozialbereichen umsetzen will. „Nach bestem Gewissen und Verantwortungsbewusstsein – wir werden nicht gehorchen“, schreiben die Petitionäre. „Wir erklären hiermit, dass keiner von uns Maßnahmen anwenden würde, die gegen die Werte der Republik verstoßen.“

    Didier Leschi, Leiter des Immigrations- und Integrations-Amtes, werde „natürlich“ keine Politik umsetzen, „die gegen meine republikanische Ethik verstößt“.
    Didier Leschi, Leiter des Immigrations- und Integrations-Amtes, werde „natürlich“ keine Politik umsetzen, „die gegen meine republikanische Ethik verstößt“. © picture alliance/dpa/MAXPPP | Louis Witter / Le Pictorium

    Die Petition ist von mehr als 2500 der betroffenen Spezialbeamten unterzeichnet. Auch in den besonders brisanten Migrations-Diensten gibt es solche Wortmeldungen. Didier Leschi, der Leiter des Immigrations- und Integrations-Amtes (Ofii), durch das alle Eingewanderten gegangen sind, erklärte, er werde „natürlich“ keine Politik umsetzen, „die gegen meine republikanische Ethik verstößt“.

    Le Pen vor Siegeszug: Droht Frankreichs Staatsverwaltung eine Blockade?

    In anderen Ministerien und Abteilungen wird hinter verschlossenen Türen debattiert, welche Möglichkeiten es gäbe, den Gehorsam zu verweigern oder passiven Widerstand zu leisten. „Résistance“ ist nicht erst seit dem Zweiten Weltkrieg ein sehr französischer Begriff, Teil des nationalen Charakters.

    Die Pariser Ausgabe des Online-Magazins „Politico“ schreibt, die Verwaltung könnte zum Beispiel „auf Zeit spielen, Mini-Sabotage betreiben, Texte schlecht verfassen oder politische Impulse verlangsamen“. Ein Chefbeamter weist anonym darauf hin, dass der Staatsrat mit einer „negativen Stellungnahme“ theoretisch jeden Regierungstext zu Fall bringen könnte.

    Le Pens enger Mitarbeiter Renaud Labaye warnt bereits, unbotmäßige Beamte würden entlassen. In Frankreich gäbe es kein Spoil-System wie in den USA, wo jede neue Staatsführung ihre eigenen Chefbeamten mitbringt. Das setze aber, so Labaye, die Loyalität der Staatsangestellten voraus. „Die, die bremsen oder uns behindern, werden ersetzt.“

    'Hauptstadt Inside von Jörg Quoos, Chefredakteur der FUNKE Zentralredaktion

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    Generell suchen Le Pens Leute aber den Clash zu vermeiden. „Wir werden keine Hexenjagd veranstalten“, versichert Le Pens früherer Kampagnenchef Christophe Bay. Im Gegenteil verspricht er geschickt, die rechte Regierung werde die unbeliebte Reform, die Präsident Emmanuel Macron dem Diplomatischen Corps und den Präfekturen aufgezwungen hatte, wieder rückgängig machen.

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    Damit kann Le Pen in der Verwaltung durchaus punkten. Für einige Beamte wäre es ein Anlass, ihre Sympathien für das RN oder für eine Politik wie von Giorgia Meloni in Italien zu bekunden, glaubt ein Schatzamt-Direktor, der nicht namentlich genannt werden möchte. Ob Frankreichs Staatsverwaltung vor einer Blockade steht, muss sich zeigen – interne Spannungen zwischen Beamten selbst sind aber auf jeden Fall vorprogrammiert, wenn die Lepenisten politisch das Sagen haben.

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